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09.03.2006

"Das ist nicht die optimale Lösung"

Böblingen/Sindelfingen: Anwohner links und rechts der Autobahn kritisieren die neue Lärmschutzpläne des Regierungspräsidiums

Von Chefredakteur Hans-Jörg Zürn

Höhere und längere Lärmschutzwände, Flüsterasphalt und Schallschutzfenster so will das Regierungspräsidium die Menschen entlang der Autobahn vor Lärm schützen, wenn die A81 auf sechs Spuren ausgebaut wird. Die Anwohner sind keineswegs davon überzeugt, dass die Maßnahmen ausreichen. Sie fordern nach wie vor einen Deckel über die Fahrbahnen. Dem erteilen die Planer jedoch eine klare Absage.

Das Regierungspräsidium hatte zur Informationsveranstaltung in die Aula des Albert-Einstein-Gymnasiums nach Böblingen geladen. Die acht Verwaltungsfachleute und Ingenieure sahen sich fast 400 Besuchern gegenüber, die ihrem Unmut und Misstrauen vehement Luft verschafften. Vor allem die Menschen in den Wohngebieten Goldberg und Viehweide (Sindelfingen), Oberes und Unteres Lauch (Böblingen) geben sich mit den Vorschlägen nicht zufrieden (die SZ/BZ berichtete).

"Die Angst vor noch mehr Lärm nach einem Ausbau der Autobahn ist deutlich zu spüren", so Dr. Thorsten Breitfeld, Sprecher der Bürgerinitiative "Leise A81". Immer wieder versuchte er die Diskussion zu versachlichen und auch die Appelle von Regierungsdirektorin Angela Berger-Schmidt fruchteten nicht wirklich. "Heute wollen wir nur informieren. Für inhaltliche Diskussionen ist die Anhörung zur Planfeststellung der richtige Rahmen", so die Rechtsexpertin.

Die neuen Pläne für Lärmschutz

Keine Chance - die Wogen der Entrüstung gingen schon nach wenigen Minuten hoch, als der geplante Lärmschutz zur Sprache kam. Über 600 Einwendungen waren beim Regierungspräsidium gegen die ersten Pläne eingegangen. Jetzt lagen nachgebesserte Vorschläge vor. Die Kernpunkte: höhere Lärmschutzwände (sechs statt bisher oft nur zwei Meter), neue Wände etwa auf Sindelfinger Seite am Breuningerland oder auf der Busbrücke zwischen Sindelfingen und Böblingen und dazu Flüsterasphalt auf fast zwei Kilometern Länge.

"Damit können wir die Grenzwerte voraussichtlich weitgehend einhalten", sagte Neithard Richter vom Regierungspräsidium. Wo das nicht geschafft wird, hätten Anwohner Anspruch auf passiven Lärmschutz wie etwa Spezialfenster. Was einen Zwischenrufer in Rage brachte: "Die nützen mir überhaupt nichts, wenn ich im Garten mit meinen Kindern spielen oder auf der Terrasse sitzen will."

Auf Nachfrage räumte Neithard Richter auch ein, dass besonders die Bewohner der Hochhäuser in der Viehweide nicht auf Ruhe hoffen dürfen: "Diese Gebäude sind ein Problem." Weder zusätzliche Wände noch Flüsterasphalt schon ab der Ausfahrt Sindelfingen-Ost könnten hier den Krach mildern. Besucher forderten außerdem Lärmschutzwände auf Böblinger Seite zwischen der Busbrücke und der Unterführung Leibnizstraße. Von dort käme der Krach vor allem bei Ostwind in die Wohngebiete.

Anwohner fordern Messungen

Ein Rätsel für die Planer. "Das müssen wir noch einmal überprüfen", so Neithard Richter. Basis für die Einschätzung des künftigen Lärms sind Berechnungen. Ingenieure haben dabei den zu erwartenden Lärm am Computer als Schallwellen simuliert und durch die virtuellen Wohngebiete geschickt. Dabei wurden auch die bestehenden Gebäude ebenso berücksichtigt wie unterschiedliche Windverhältnisse oder die unterschiedlichen Höhen der Lage der Stadtviertel.

Dieses Vorgehen bemängelten viele Anwohner. Sie fordern konkrete Messungen, da schon heute die Grenzwerte in vielen Bereichen der Wohngebiete überschritten seien. "Wir messen nicht, wir rechnen", stellte Neithard Richter klar, dass seine Behörde vom gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren nicht abweichen werde. Schließlich müsse das Regierungspräsidium nur die Auswirkungen einer breiteren Autobahn berücksichtigen, nicht aber den schon heute vorhandenen Lärm etwa der S-Bahn oder von Flugzeugen.

Umstritten waren auch die Basisdaten, was den Verkehr in wenigen Jahren betrifft. Derzeit rollen etwa 100 000 Fahrzeuge über die vier Spuren. Die Ingenieure gehen bei zwei zusätzlichen Fahrbahnen von etwa 120 000 Autos, Motorrädern und Lastern aus. Das sei viel zu niedrig gegriffen, kritisierten viele Anwohner. "Sie dürfen hier nicht von Spitzenbelastungen ausgehen", erläuterte Angela Berger-Schmidt: "Wir nehmen als Grundlage das jährliche Mittel." An einzelnen Tagen und zu bestimmten Uhrzeiten könnten also tatsächlich wesentlich mehr Fahrzeuge zwischen den Wohngebieten fahren, dafür eben nachts oder an Sonn- und Feiertagen wesentlich weniger.

"Deckel nicht verhältnismäßig"

Überhaupt keine Chance sehen die Planer für einen Deckel. "Der käme viel zu teuer", so Neithard Richter. Etwa acht bis zehn Millionen Euro sind für den Lärmschutz eingeplant, insgesamt sollen die zwei zusätzlichen Fahrbahnen rund 80 Millionen Euro kosten. "Ein Deckel in diesem Bereich käme alleine auf rund 60 bis 70 Millionen Euro. Hier haben wir die Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen", ergänzte Angela Berger-Schmidt.

Sie riet unzufriedenen Anwohnern, unbedingt weitere Einwendungen zu schreiben: "Tun Sie das nicht oder versäumen Sie die Frist, werden Sie im weiteren Verfahren nicht mehr angehört." Die neuen Pläne liegen vom 13. März bis zum 12. April unter anderem in den Rathäusern von Sindelfingen und Böblingen zur Ansicht aus. Danach bleiben noch zwei Wochen Zeit für Einwendungen. Noch vor den Sommerferien möchte das Regierungspräsidium zur Erörterung über das Projekt einladen. Dort werden alle Aspekte mit den Betroffenen besprochen.

Weitere Informationen für Anwohner

"Was uns hier vorgestellt wurde, halte ich noch nicht für die optimale Lösung", bewertete Dr. Thorsten Breitfeld den Informationsabend: "Da ist sicher noch Spielraum für besseren Lärmschutz." Deshalb wolle man jetzt die Kräfte bündeln. Die nächsten Schritte will der Sprecher der Bürgerinitiative am Mittwoch, 15. März, bei einer Anwohner-Versammlung vorstellen und diskutieren. Sie beginnt um 18 Uhr in der Aula des Albert-Einstein-Gymnasiums. Dort wird Rechtsanwalt Dr. Wirsing, Spezialist für Verfahrensrecht, über rechtliche Möglichkeiten informieren und Hans Ambros über die Geschichte der Autobahn und die Diskussion über einen Deckel berichten.

"Wir wollen einerseits formal vorgehen", kündigte Dr. Breitfeld an. Gleichzeitig werde aber auch versucht, politisch Einfluss auf die Pläne zu nehmen: "Das Regierungspräsidium erfüllt die rechtlichen Vorgaben, kann diese aber nicht ändern. Es wird höchste Zeit, das den Planern hier von Seiten der Politik mehr Spielraum verschafft wird für besseren Lärmschutz. Schließlich geht es um die Lebensqualität von Menschen."

Weitere Informationen gibt es auf der Seite www.leisea81.de im Internet.


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